„Den Traum Gottes für mein Leben entdecken“

„Den Traum Gottes für mein Leben entdecken“

Seit September gibt es eine neue Mitarbeiterin in der Zukunftswerkstatt: Sr. Silvia. Sie wird neben Clemens den Gästen als geistliche Begleiterin zur Verfügung stehen. Andreas, der gerade für eine Auszeit Plus in der Zukunftswerkstatt zu Gast ist, hat mit ihr über ihre ersten Eindrücke, ihren Ausbildungs- und Berufungsweg und ihre Träume als junge Frau gesprochen.

Liebe Silvia, vor etwa einer Woche bist Du in der Zukunftswerkstatt ankommen. Was sind Deine ersten Eindrücke?

Ich finde es sehr schön, mit jungen Leuten Gemeinschaft zu leben. Es wird sich natürlich vieles noch zeigen, weil es eben noch die erste Woche ist. Aber ich habe den Eindruck, dass wir gut zueinander gefunden haben. Es ist wirklich großartig, in einem Projekt arbeiten zu können, in dem junge Menschen gemeinsam ihren Weg suchen. Da ein Stück mitgehen zu dürfen, empfinde ich als Geschenk.

Was hast Du gemacht bevor Du nach Frankfurt kamst?

Viel Unterschiedliches. Was sich aber eigentlich die ganze Zeit durchgezogen hat, war der Bereich ‚Spiritualität‘ (Exerzitien, Einzelbegleitungen, geistliche Programme) – da bin ich wirklich mit ganzem Herzen dabei. Daneben habe ich auch immer etwas im Medienbereich gemacht, bspw. bei der Kirchenzeitung – mal als Verantwortliche, mal nur schreibend als Autorin. In den letzten zwei Jahren hat sich dann noch etwas Neues entwickelt: Die Übersetzung von Büchern aus dem Bereich der Spiritualität.

Du bist Ordensfrau in einer ignatianischen Gemeinschaft. Warum wolltest Du das werden? Wie kam es dazu?

Ich weiß gar nicht, ob ich das von Anfang an werden wollte. Als Jugendliche – so mit 16, 17 als ich zum ersten Mal meinen Zugang zu Gott gefunden hatte – da habe ich mich entschieden, dass ich mein Leben mit Gott gestalten möchte. Aber Ordensfrau werden? Das sicher nicht! Langsam habe ich zur ignatianischen Spiritualität gefunden. Da habe ich dann gewusst: Ich möchte mein Leben aus der ignatianischen Spiritualität heraus gestalten. Und dann, oder dazwischen kam immer wieder die Frage: Welche Lebensform soll es sein? Natürlich hatte ich auch meine Zeit, wo ich unbedingt heiraten wollte. Auch Zeiten, wo ich gedacht hatte: Naja, so alleine lebend und dann verbindlich oder unverbindlich zu einer Gemeinschaft gehörend, das wäre auch schön. Aber dann hat mich doch der Ruf Gottes erwischt und ich habe gespürt: Die Lebensform in einer Ordensgemeinschaft, das könnte der Weg sein. Und, ich hatte schon länger gewusst: Wenn ich Ordensfrau wäre (was ich sicher nicht werde, aber falls doch), dann bei den Helferinnen. Weil ich die Kongregation der Helferinnen mittlerweile schon kannte und mich in der Gemeinschaft so richtig zu Hause gefühlt habe.

Sr. Silvia mit Joyce Rupp, deren Bücher sie übersetzt hat.

Sr. Silvia mit Joyce Rupp, deren Bücher sie übersetzt hat.

Nach Deinem Ordenseintritt: Wie ging’s dann weiter?

Es stand erst einmal ein riesiger Schritt an: Weil wir vier Länder in einer Provinz mit der Leitung in Wien sind, war damals dort auch das Noviziat. Das hieß für mich das Land, die Kultur und die Sprache zu wechseln. Auch wenn mir heute Sprachen sehr wichtig sind und Freude bereiten, war ich damals interessanterweise davon überzeugt, dass ich nie eine Fremdsprache so sprechen würde, dass ich mich mit Leuten so richtig unterhalten kann. Vor allem mit Leuten, die die Sprache als Muttersprache sprechen. So bin damals auch voller Angst nach Wien aufgebrochen. Das zweijährige Noviziat war eine wichtige, auch herausfordernde Zeit. Danach ging es zurück nach Siebenbürgen, wo ich in der Jugendpastoral auf Diözesanebene tätig war und Studentinnen und Studenten in Kronstadt, wo wir unseren Sitz hatten, begleitet habe. Damals habe ich auch die Exerzitienarbeit angefangen. Anschließend ging es nach Graz, in die dortige Studierendengemeinde, wo ich vor allem im Bereich der Spiritualität und in Sozialprojekten arbeitete. Nachher ging es kurz nach Kamerun, wo ich ein halbes Jahr in unserer Kommunität in Jaunde gewohnt habe. Dort durfte ich ein bisschen die afrikanische Lebensweise, die Mentalität, auch die Theologie afrikanischer Art kennenlernen. Im Anschluss ging es wiederum zurück nach Siebenbürgen, wo ich erneut im Bereich ‚Spiritualität‘ und der Medienarbeit tätig war. Meine letzte Station war dann England, wo ich zuerst eine neunmonatige Sabbatzeit genießen durfte. Hinterher habe ich auch meine Sendung in die Provinz Großbritannien erhalten, wo ich für zwei Jahre weiterhin im Bereich ‚Spiritualität‘ und in der Pfarrpastoral mitarbeitete und auch ein bisschen in einem ökumenischen Flüchtlingsprojekt mitgeholfen habe, was sehr bereichernd war. Als neue Aufgabe kam die Übersetzung von Büchern dazu. Zuletzt gab es dann einen Unterscheidungsprozess, ob ich weiterhin in England bleibe oder zurück nach Siebenbürgen, in meine Heimat, gehe. Ich hatte gedacht: Die Unterscheidung liegt zwischen diesen zwei Ländern … Außer Gott und meine Gemeinschaft brauchen mich anderswo, was ich zwar nicht glaube, aber falls doch, will ich da offen draufschauen. So ist es dann auch gekommen und es gab die Anfrage für ein Jahr in die Zukunftswerkstatt nach Frankfurt zu kommen.

Das war ja ein sehr bunter und vielfältiger Weg nachdem Du in den Orden eingetreten bist. Hast Du auch studiert?

Ich habe ursprünglich parallel Physik und Theologie studiert …

Spannende Kombination.

Ja (lacht), sie ergänzen sich gut. Ich habe dann auch eine Promotion angefangen und nach dem Noviziat fertiggeschrieben, in der es um die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Siebenbürgen ging. Das war sehr spannend, denn Siebenbürgen war bis 1989 kommunistisch. Damals war nicht viel Öffnung möglich. Als ich Redakteurin bei der Kirchenzeitung wurde, habe ich auch noch Journalistik studiert.

Mitschwestern aus Siebenbürgen

In der Zukunftswerkstatt wirst Du junge Erwachsene begleiten, die auf der Suche nach ihrer Berufung sind. Was bedeutet Berufung – für Dich persönlich?

Es bedeutet den Ruf zu hören. Den Ruf, der von Gott, von Jesus Christus ausgeht, ganz persönlich an jeden und jede von uns. Es ist ein Ruf zum Leben in Fülle. Das heißt auch, die eigenen Gaben, die jede und jeder von uns persönlich empfangen hat, so einzusetzen, dass diese zu mehr Leben für die Menschen um uns herum, für unsere Welt und für uns selber führen. Einfach, ignatianisch ausgedrückt: Jesus nachzufolgen. Oder wieder anders formuliert: Auf die unendliche Liebe, die uns von Gott geschenkt ist, ganz persönlich zu antworten. Nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Leben. Dazu den Weg zu finden ist dann Berufungsklärung.

Was hat Dir denn im Alter von 18 bis 30 geholfen Deine Berufung zu finden? Und: Was hilft Dir heute, Deine Berufung nicht aus den Augen zu verlieren?

Es waren grundsätzlich drei Elemente. Erstens die lebendige Beziehung mit Gott und das mit allem, was dazugehört. Mit dem Ringen und Suchen, gemeinsam immer wieder neu anzufangen. Zweitens war mir immer die geistliche Begleitung sehr wichtig. Jemanden zu haben, der diesen Weg ein bisschen mitgeht und auch von außen mal eine Rückmeldung gibt. Jemand, der mir hilft auf dem Weg zu bleiben. Und drittens war es die Stimme Gottes durch die Ereignisse des Lebens. Das meint, auch dem Leben, der Realität zuzuhören und die Einladungen, die darin stecken, wahrzunehmen.

Was mir heute hilft, sind eigentlich die gleichen Elemente. Und dazu kommt noch die Gemeinschaft, die mir auch sehr wichtig ist. Es geht darum, dass ich mich jeden Tag neu entscheide, was aber nicht heißt, dass ich mich nicht für mein ganzes Leben entschieden habe. Es bedeutet, dass es des täglichen „Ja“s bedarf, einer Neuorientierung. Es bleibt immer eine Wegsuche: Was ist jetzt gerade meine Berufung innerhalb der Berufung, die ich habe? Also: Die Suche hört niemals auf! (lacht)

Aus der Zeit in Kamerun

Was bedeuten Dir Exerzitien und die ignatianische Spiritualität? Hast Du ein „Lieblingswerkzeug“?

Die Exerzitienspiritualität hat sehr viel mit unserer Lebensdynamik zu tun. Da zeigt sich zunächst ein wichtiges Fundament: Die Liebe Gottes wahrzunehmen, anzunehmen. Damit kann ich dann auf mein Leben mit den Schattenseiten, den Herausforderungen, den Fehlern, dem Scheitern schauen, Heilung erfahren und neu anfangen. So kann ich mich immer wieder für die Nachfolge Jesu entscheiden und mit Ihm den Weg gehen. Den Weg, der oft durch das Leid zur Erfahrung der Auferstehung, des Sieges der Liebe, führt. Ich glaube, diese Themen sind immer wieder da in unserem Leben. Ob wir sie wahrnehmen oder nicht. Sie im Gebet und in der Begleitung zu leben, ist mir ganz, ganz wichtig. Mit anderen Worten: Es geht darum, den Traum Gottes für mein Leben zu entdecken.

Neben den Exerzitien ist mein „Lieblingswerkzeug“ das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit wie Willi Lambert [Jesuit und Exerzitienbegleiter; Anm. d. Red.] es nennt. Das ist mehr als eine Gebetsform, die man ein- oder zweimal am Tag macht. Es geht darum, in eine Haltung der liebenden Aufmerksamkeit hineinzuwachsen, in der ich versuche – natürlich scheitere ich auch sehr oft, aber ich versuche es immer wieder – liebend und aufmerksam zu leben und das auch untertags; egal was mir passiert oder was ich tue, immer wieder auf meinen Kompass zu schauen: Zeigt er noch in Richtung der Liebe?

Was war Dein Traum als junger Mensch?

Ich hatte viele Träume. Aber ich glaube, der größte Traum war die lebendige Beziehung, das Abenteuer mit Gott zu wagen. Dieses riesige Geschenk wollte ich auch an Menschen weitergeben und zwar so, dass ich ein Werkzeug werde, das anderen hilft ihre eigene Beziehung zu Gott (wieder) zu finden, und den Weg dann auch zu gehen. Dabei als Begleiterin nicht im Weg zu stehen, ist mir auch ganz wichtig.

Letzte Frage: Auf was freust Du Dich im Blick auf das kommende Jahr?

Ich freue mich auf die Begegnungen mit den jungen Menschen und auch den anderen Gästen; die Begegnungen mit Gott – immer frisch; und die Begegnungen mit mir selber, weil ich glaube, dass ich in der neuen Situation auch mir selbst ganz neu begegnen werde.

Liebe Silvia, vielen Dank für das interessante Gespräch.      

Sr. Silvia und Andreas

Silvia Bereczki, geb. 1971 in Temeswar (Siebenbürgen), studierte katholische Theologie, Physik und Journalistik in Klausenburg, 2000 Einritt in die Kongregation der Helferinnen, seitdem im Bereich ‚Spiritualität‘ und Medienkommunikation sowie als Übersetzerin tätig, seit September 2020 Geistliche Begleiterin in der Zukunftswerkstatt SJ in Frankfurt.

Andreas Feige, geb. 1995 in Heidelberg, studierte katholische Theologie in Freiburg i. Br. und Innsbruck und bereitet derzeit eine Dissertation im Fach Pastoraltheologie vor, seit Januar 2020 Redakteur der praktisch-theologischen Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“.

von Andreas

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