Erfahrungen in den Exerzitien

Erfahrungen in den Exerzitien

Im Schweigen verbunden

von Jan Kirchner | Vor ein paar Monaten habe ich mich für Exerzitien in der Zukunftswerkstatt angemeldet. Mein Umfeld im Biochemie-Studium hat Großteils nichts mehr mit Glaube und Kirche zu tun. Ich war bei den Ministranten, mehrmals für eine Woche in Taizé, wohne in einem Wohnheim der Katholischen Hochschulgemeinde, gehe oft zu deren Veranstaltungen und in den Sonntagsgottesdienst der KHG. Aber wirklich was mit Gott zu tun? Das hatte ich nicht mehr. Vereinzelt habe ich schon von Freunden gehört, wie toll sie die Exerzitien fanden, konnte die Begeisterung, mit der sie von ihren Gottesbeziehungen berichteten aber absolut nicht nachvollziehen. Was man in den acht Tagen Exerzitien macht, konnte ich mir bei der Anmeldung absolut nicht vorstellen.

 

Schon kurz nach der Anmeldung kamen die ersten Zweifel hoch: „Eine Woche schweigen? Das halte ich doch nie aus. Was soll ich denn mit der ganzen freien Zeit anfangen und was kommen denn da überhaupt für Menschen? Sind da nur Andere, die fest im Glauben stehen, die mich dann in Verlegenheit bringen, weil ich ihre Erfahrungen nur schwer nachvollziehen kann?“ Ich war zwar auch ein bisschen neugierig, was mich erwartet, aber mit jedem Tag, den die Exerzitien näher rückten, kamen in mir größere Befürchtungen auf, das Ganze nicht durchzuhalten. Ich hatte Sorge, in der Woche zu merken: „Oh hoppla, mit Gott, Glaube und Kirche kann ich überhaupt nichts anfangen.“ Dann müsste ich den Rest der Zeit mit einem beklemmenden Gefühl verbringen. Mit einem Koffer voll T-Shirts, Hosen und vielen Bedenken bin ich dann nach Frankfurt gereist.

 

Beim ersten Treffen mit der Gruppe, mit der ich dann die nächsten acht Tage verbringen durfte, haben sich die ersten Befürchtungen schnell gelegt. „Okay, die sehen auch ganz normal aus – wenigstens das.“ Meine größte Sorge war jedoch, eine Woche lang nicht zu reden. Darin konnte mich so schnell aber leider nichts besänftigen. Nachdem wir unseren Tagesablauf bekommen haben, war ich erstmal erleichtert: Es gibt ein festes Programm, man trifft sich morgens zu Entspannungsübungen, zum Morgengebet und frühstückt gemütlich. Man betrachtet vier Mal am Tag eine Bibelstelle, isst zu Mittag, man hat ein tägliches Gespräch mit dem jeweiligen Exerzitienbegleiter. Dort kann man über alles sprechen, was einen gerade bewegt. Man feiert täglich im kleinen Kreis der Exerzitiengruppe Eucharistie, hat danach Zeit zum Abendessen und der Tag wird mit einem Tagesrückblick beendet. Und zwischen all den festen Terminen gibt es auch genügend Zeit um spazieren zu gehen, sich in die Sonne zu setzen und einfach ohne Stress und Zeitdruck zu entspannen.

 

In den ersten Tagen meiner Exerzitien kamen große Zweifel auf: Was suche ich eigentlich hier? Gibt es diesen Gott wirklich? Ist das nicht alles nur erfunden? Wieso sind die Anderen (scheinbar) so fest verankert in ihrem Glauben an Gott, mache ich was falsch? Im Begleitgespräch wurde mir dann geraten, das mit ins Gebet zu nehmen: alle Bedenken, alle Sorgen, jeden Zweifel. Es klingt total absurd und hat eine gewisse Ironie, genau diese Zweifel über Gott an diesen Gott zu formulieren. Aber was hatte ich zu verlieren? Ich habe mich auf dieses Experiment eingelassen.

 

Was nun kommt klingt vielleicht wie ein Standard-Werbetext: vom Zweifler, der plötzlich was mit Gott anfangen kann. Aber es spiegelt letztendlich meine eigenen Erfahrungen wider.

 

Ich habe angefangen, jeglichen Zweifel zu formulieren und ihn Gott anzuvertrauen, immer noch mit dem Hintergedanken, was das denn eigentlich bringen soll. Aber schaden konnte es bestimmt nicht. Mit der Zeit wurde ich immer gelassener. Ich konnte die vielen Fragen einfach im Raum stehen lassen – ergebnisoffen und ohne eine Antwort zu erwarten. Ich wurde innerlich zunehmend ruhiger und es kam immer mehr eine Freude in mir auf. Eine tiefe Freude, einfach da sein zu dürfen. In mir kamen sehr schwer zu beschreibende Gefühle auf. Ich würde es als ein großes Gefühl der Geborgenheit und des Angekommen-Seins beschreiben. Erstmals seit langer Zeit habe ich geglaubt nachvollziehen zu können, warum andere Menschen beten. Diese Erfahrung hat mich in dem Moment unglaublich glücklich gemacht. Ich habe mich wahnsinnig darüber gefreut. Das war eine Erfahrung, deren Größe ich gar nicht in Worte fassen kann. Vor allem war es eine Erfahrung, für die ich jeden, der sie mir vorher erzählt hätte, nur müde belächelt hätte.

 

Das Schweigen habe ich nie als eine Belastung wahrgenommen. Im Gegenteil – es hilft, um bei sich zu bleiben. Ich hatte den Eindruck, man wird achtsamer im Umgang mit sich selbst, man nimmt seine eigenen Gedanken viel bewusster wahr und bekommt auch mehr davon mit, was gerade in der Umgebung passiert. Was mir auch wahnsinnig geholfen hat, war die Gemeinschaft mit den anderen Exerzitantinnen und Exerzitanten. Wir haben nicht miteinander gesprochen, aber ich habe mich verbunden gefühlt – beim gemeinsamen Beten, Essen, in der Sonne Liegen und auch beim gemeinsamen Schweigen. Ich war am Ende der Woche extrem beeindruckt, dass es den Anderen genauso ging. Wir haben die ganze Woche eine Verbindung untereinander gespürt, ein Gefühl von Gemeinschaft. Als wir am Ende der Exerzitien miteinander ins Gespräch gekommen sind, waren das keine Gespräche unter Unbekannten, von denen man nur den Namen und ein paar Details vom Kennenlernen am ersten Abend weiß. Ich habe einen sehr vertrauensvollen Umgang miteinander wahrgenommen, wie unter Freunden, die sich schon lange kennen. Diese schweigende Gemeinschaft hat jeden Einzelnen bestärkt.

 

Während der acht Tage gab es viele Höhen und Tiefen. Vieles lässt sich vermutlich gar nicht nachvollziehen, wenn man es selbst (noch) nicht erlebt hat. Die Exerzitien konnten nicht jeden Zweifel in mir ausräumen. Aber sie haben Zuversicht geschaffen, Neugier und Zuversicht auf das, was in meiner Beziehung zu diesem Gott noch kommen wird. Deshalb kann ich nur jedem und jeder raten, sich auf dieses Experiment einzulassen. Man kann nur gewinnen.

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